TEST DRIVE REPORTS IN DER AKTUELLEN AUSGABE DER AUTOILLUSTRIERTEN (AUSG. 07/2024)
Die Autojournalisten nahmen einmal den Station Wagon und einmal den Quartermaster unter die Lupe. Beide Fahrzeuge konnten die erfahrenen Test Drive Piloten überzeugen. Fazit: Mit dem Grenadier fängt der Spass dort an, wo die Strasse aufhört. Alles im Geländewagen ruft nach Abenteuer – egal wohin, der Grenadier bringt Dich dorthin.
INEOS GRENADIER QUARTERMASTER IM TEST
Nichts für Warmduscher
Als der originale Land Rover Defender 2016 eingestellt wurde, war Milliardär Sir Jim Ratcliffe not amused. Daher liess er den Ineos Grenadier als wahren Nachfolger entwickeln. Wir fahren den Pick-up alias Quartermaster.
Vom Ineos Grenadier kann der Offroadfan nie genug bekommen, darum nutzen wir jede Gelegenheit, einen zu fahren, dieses Mal die Pick-up-Variante Quartermaster. Schliesslich handelt es sich erneut um ein automobiles Monument wie sein geistiger Urahn, der es auf eine Bauzeit von stolzen 68 Jahren brachte. Und von dem es auch Versionen mit offener Ladefläche gab: kurzer oder langer Radstand, zwei oder vier Türen. Den Quartermaster gibt es hingegen nur als Viertürer mit verlängertem Radstand, dazu eine Double-Cab-Chassis-Kabine. Bis und mit den vorderen Türen unterscheidet sich der Quartermaster nicht vom Station Wagon. Der Radstand ist hingegen mit 3,23 Metern über 30 Zentimeter länger geworden. Der hintere Überhang wurde ebenfalls länger, die Gesamtlänge ist von 4,9 auf üppige 5,44 Meter angewachsen, eine Europalette nimmt die grosse Fläche locker auf. Lediglich der hintere Böschungswinkel musste etwas leiden. Er sank von 36,1 auf 22,6 Grad. Die anderen Werte blieben annähernd gleich, so die Wattiefe von 80 und die Bodenfreiheit von 26,4 Zentimetern. Die 1,28 Meter breite Ladeklappe kann mit 225 Kilogramm belastet werden, es gibt Verzurrösen, eine Steckdose sowie eine Nutzlast von 760 beim Diesel und 835 Kilogramm beim Benziner.
Hightech von Spezialisten
Ineos behauptet nicht, das Rad neu erfunden zu haben. Das ist auch nicht nötig, denn eigentlich gibt es schon alles. Motoren und Getriebe? Ein BMW-Reihensechszylinder ist bis dato etwas vom Feinsten, was je ein Auto angetrieben hat, also her damit. Der Dreiliter leistet als Diesel 249, als Benziner 286 PS. Dazu eine Achtgang-Automatik mit Kriechgang und viele weitere Antriebsgoodies aus Bayern. Die Aufhängungen und die ganzen geländespezifischen Features wurden ebenfalls bei professionellen Anbietern eingekauft, etwa die Bremsen von Brembo. Das Ganze sitzt auf einem Oldschool-Leiterrahmen-Chassis, das wahlweise schwarz, rot oder hellgrau lackiert ist. Dazu ein manuell betätigtes zweistufiges Verteilergetriebe mit Ölkühlung von Eaton, ein sperrbares Mitteldifferenzial und All-Terrain-Reifen von Bridgestone oder BFGoodrich, die bei Bedarf selbstverständlich durch noch gröbere «Finken» ersetzt werden können. Unser Diesel-Testwagen in Trialmaster-Konfiguration, also mit allen Sperren und einem Schnorchel für die Luftansaugung, kommt praktisch überallhin, beeindruckt durch seine schier unglaublichen Kletterfähigkeiten und die schiere Kraft. Bei Schräglagen bis 45 Grad bekommt der Fahrer ein mulmiges Gefühl, das Auto nicht. Aber noch imposanter ist die Ruhe und Gelassenheit, die der Grenadier-Pilot am Lenkrad empfindet. Die Kraft wird völlig selbsttätig verteilt, erst in wirklich brenzligen Situationen muss man die mechanischen Differenzialsperren mit einem Hebel auf der Mittelkonsole aktivieren. Landstrassen kann der Grenadier auch, aber für die ist er wirklich nicht vorrangig gedacht. Das merkt man etwa an der Lenkung, die nicht von selbst in ihre Position zurückgeht und sich offroad wohler fühlt als auf Asphalt.
Bis ans Ende gedacht
Die Vordertüren sind so verwindungssteif, dass man sie mit Zubehör von bis zu 45 Kilogramm behängen kann, die hinteren bis 35 Kilogramm. So kann an den Befestigungsschienen beispielsweise ein kräftiger Jagdhund angeleint werden, ohne dass er das Türblech zerstört. Auf dem pulverbeschichteten Dach lassen sich ein Zelt oder Tierbeobachtungsequipment aufbauen, ohne dass Kratzer zurückbleiben. Im Innenraum begeistert das flugzeugartige und äusserst zweckmässig gestaltetet Cockpit. In der Mitte thront der 12,3-Zoll-Touchscreen, darunter sehr zentral und griffbereit alle Schalter. Der Clou: Sie sind von aussen verschraubt und können jederzeit getauscht werden, ohne dass das Cockpit zerlegt werden muss. Am Dachhimmel sitzen die für den Offroadbetrieb relevanten Schalter, einige davon können individuell für Zubehör belegt werden. Die Zugänglichkeit ist im Fond sogar noch leicht besser als im Station Wagon, aber die Rücksitzlehnen stehen etwas steil. Der Innenraum lässt sich bei Bedarf mit einem Wasserschlauch reinigen, das Wasser fliesst per Ablassventil ab. Und es gibt nebst der normalen eine extraleise Hupe, um Fahrradfahrer, Reiter oder Fussgänger zu warnen.
Ruckzuck sechsstellig!
Ein Grenadier kostet 89 900 Franken, egal ob Diesel oder Benziner, Trial- oder Fieldmaster, Station Wagon oder Quartermaster. Das ist allerdings nur das Eintrittsticket, sich den Grenadier für die geplanten Zwecke individuell einzurichten. Eine Seilwinde mit 5,5 Tonnen Zugkraft für 4240 Franken gefällig? Oder ein Tonneau für die Pritsche à 3160 Franken? Ledergarnitur für 1830 Franken? Trittleisten für 1090 Franken? Die Endabrechnung weit in den sechsstelligen Bereich hineinzutreiben, ist ein – wenn auch gar kostspieliges – Kinderspiel. Aber wer sich für einen Grenadier entscheidet, wird dies nicht leichtfertig und auch nicht ohne langfristige Bindungsabsichten tun. Der in Hambach im früheren Smart-Werk gefertigte Grenadier soll «der beste nutzenorientierte Geländewagen der Welt» sein, wie es Sir Jim Ratcliffe verspricht – gleich nach dem alten Defender versteht sich.
INEOS GRENADIER STATION WAGON IM TEST
Von der Leine gelassen
Leiterrahmen, permanenter Allradantrieb, drei Sperren, Starrachsen: Der Ineos Grenadier ist der feuchte Traum eines jeden echten Offroadfans. Wir haben ihn im Gelände getestet.
Was würden Sie tun, wenn Sie ein britischer Milliardär wären und Sie nichts mehr lieben als Ihren alten Defender, aber Land Rover Ihnen mitteilte, dass keine alten Defender mehr gebaut würden? Na klar, Sie würden sich einen neuen Land Rover Defender kaufen. Nicht so Jim Ratcliffe: Der britische Milliardär und Inhaber des Petro-Chemie-Giganten Ineos bedauerte das Aus ja so sehr, dass er erst den Original-Defender in Eigenregie weiterbauen wollte. Das verweigerte ihm allerdings Jaguar Land Rover. Also sass Jim Ratcliffe mit seinem Chefingenieur bei ein paar tröstenden Pints in seinem Lieblingspub «The Grenadier» zusammen und beschloss, seinen eigenen «Defender» zu bauen. Und zwar besser. Ohne Elektronik-Schnickschnack, nur pures Offroadvergnügen – so das Versprechen. Während unsereiner am Morgen nach einer Bieridee die Sache auf sich beruhen lässt, schritt Ratcliffe 2017 beherzt zur Tat. Herausgekommen ist der Ineos Grenadier. Grenadier heisst der Geländewagen nicht etwa wegen seiner Offroadskills, was auf der Hand liegen würde, sondern nach dem Lieblingspub von Ratcliffe. Allein diese Tatsache wäre ein Grund, ihn zu kaufen. Aber es gibt noch vieles mehr, was das Herz höherschlagen lässt. Zum Beispiel das Cockpit. Einfach zu geil: Da sind keine Rundinstrumente vor dem Fahrer positioniert, sondern lediglich eine kleine Aktionsanzeige. Ansonsten: freie Sicht auf freies Gelände.
Helikoptercockpit
Wie bei den meisten neuen Autos gibt es auch im Grenadier im Grunde nur noch einen zentralen Bildschirm, der im Ineos allerdings nicht den ersten Preis für userfreundliches Design gewinnen wird. Dafür ist der Rest umso cooler: Als hätte man im Grenadier das Cockpit eines Kampfhelikopters implementiert. Über dem Kopf befinden sich manuelle Einstellungen für den Geländeeinsatz wie zum Beispiel die Differenzialsperre, aber auch die Schalter für die Stromanschlüsse ausserhalb des Autos. So wurden bereits 10- und 25-Amper-Kabel für das einfache Anbringen von Lichtquellen verlegt. So viele Schalter und Knöpfe! Vor, neben und über einem: Jeden einzelnen will man drücken, nur um zu sehen, ob einer nicht doch einen Schleudersitz auslöst oder ein anderes 007-Gadget ist. Zum Beispiel der rote Knopf am Lenkrad mit dem Velosymbol darauf. Was löst er aus, wenn man ihn drückt? Ist er da, um dreisten Velofahrern einen Tritt in den Hintern zu geben? Keine Sorge, es ist nur eine Hupe für Velofahrer. Die eigentliche Fahrzeughupe ist so laut, dass sie eine Elefantenherde vertreiben könnte, während die kleine rote Velohupe dezent trötet, fast schon höflich, aber trotzdem streng. So viel Gentleman muss sein, auch wenn alles am und im Ineos Grenadier nach Wildnis und Abenteuer ruft. Für solche gibt es viele coole Ideen wie zum Beispiel die speziellen Befestigungsschienen an den Türen, die zum Aufhängen von Hängematten, dem Befestigen von Zelten oder dem Einhaken von Campingtischen dienen. doch vieles an den alten Defender: der kastenförmige Aufbau, das abgerundete Dach, die Front, das Heck, die Leiter zum Dach sowie das aussen montierte Reserverad an der geteilten Hecktür. Aber beim Ineos handelt es sich in keiner Weise um einen Defender-Restomod, sondern um ein komplett neu konzipiertes Geländefahrzeug. Vielmehr ist der Ineos ein Cocktail aus den besten Zutaten, den man am besten «on the rocks» geniesst. Unter dem britischen Design schlägt ein bayerisches Herz: Ein Dreiliter-Motor von BMW, der als Twin-Turbo-Diesel (183 kW/249 PS) und auch als Turbo-Benziner (210 kW/286 PS) erhältlich ist, während die Offroadtechnologie von Magna-Steyr aus Graz stammt und die Starrachsen von der Gruppo Carraro aus Italien kommen. Das ZF-Getriebe stammt aus Friedrichshafen und gebaut wird der Grenadier in Hambach – dort, wo einst der Smart Fortwo gefertigt wurde.
Parkhausschreck
Grösser könnte der Unterschied zwischen Smart und Ineos nicht sein. Die Aussenmasse von 4,89 Metern Länge, 1,93 Metern Breite und 2,03 Metern Höhe machen den Grenadier zum Parkhausschreck. Hinzu kommt ein Wendekreis von 13,5 Metern, ziemlich genau doppelt so viel wie derjenige eines Smart Fortwo. Das passt schon: Schliesslich geht man ja auch nicht mit Bergschuhen und Campingausrüstung in der Stadt spazieren. Ebenso wenig zu Hause fühlt sich der Ineos Grenadier auf der Autobahn, wo man in guter alter Defender-Manier von jedem Windstoss durchgerüttelt wird. Aber im Vergleich dazu ist es im Ineos Grenadier angenehm ruhig. Auf der Landstrasse ist der Grenadier überraschend laufruhig unterwegs, auch wenn die Lenkung frivoles Spiel geniesst und präzise Fahrbefehle eher als Empfehlung aufnimmt. Wir empfehlen zudem, für die Kurven ein bisschen mehr Zeit und Raum einzuplanen als mit einem normalen SUV. Geradeaus beschleunigt der Grenadier zügig in 8,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Platz und Innenraumangebot
Der erste Gipfel, der im Ineos Grenadier erklommen werden muss, ist die Fahrerkabine. Der Einstieg ist sehr hoch – zum Glück hat das Testmodell Schweller, was es einfacher macht. Sitzt man erst einmal in den wuchtigen Recaro-Ledersesseln, ist das Platzangebot recht grosszügig. In der fünfsitzigen Version finden drei Personen auf der Rückbank viel Kopf-, Knie- und Fussraum vor. Die hintere Bank ist im Verhältnis 30 : 70 geteilt. Der Laderaum verfügt über zwölf Zurrpunkte und kann mit Wasser abgespült werden, ohne dass die Rücksitze nass werden. Das Ladevolumen beträgt bis zu 2000 Liter. Notfalls passt also auch eine Europalette hinein. Der Grenadier hat eine Dachlast von 450 Kilogramm und kann 350 Kilogramm auf der Anhängerkupplung laden, hat 3,5 Tonnen Anhängelast und eine Winde mit einer Zuglast von 5,5 Tonnen. Die wichtigsten Elemente können im Grenadier mit Arbeitshandschuhen bedient werden. Ausser vielleicht das Zündschloss. Den Zündschlüssel einzustecken, ist ein bisschen, wie den Fernseher hinter der Couch einzustöpseln – ein ziemliches Gezirkel. Insgesamt wirkt der Ineos robust verarbeitet und scheint so belastbar, dass ein Nashorn dagegen rennen könnte, ohne dass man seinen Fünf-Uhr-Tee verschüttet. Bestimmt mit ein Grund, warum Ineos Grenadiere auch auf Safaris unterwegs sein werden. Zusammen mit einer Karosseriefirma in Botswana werden sie zu Safarifahrzeugen umgebaut, die auf allen Seiten offen sind, um Wildtiere zu beobachten.
Härtetest im Offroadpark
Keine Frage: Beim Ineos Grenadier fängt der Spass dort an, wo die Strasse aufhört. Um einen Eindruck davon zu bekommen, was der Ineos Grenadier alles könnte, wenn er dürfte, haben wir ihn im Offroadgelände des TCS Training & Freizeitzentrum Betzholz bei Hinwil von der Leine gelassen. Mit an Bord war auch TCS-Fahrinstruktor Peter «Speedy» Stadelmann. Es war nicht das erste Mal, dass der Offroadexperte in einem Ineos Grenadier sass: «Ich konnte bereits vor einigen Jahren einen ersten Prototyp auf unserer Offroadpiste testen. Schon damals war ich vom Konzept überzeugt.» Das Offroadgelände bei Hinwil ist das grösste seiner Art in der Schweiz und umfasst insgesamt 7000 Quadratmeter. Die Offroadpiste hat es ganz schön in sich: Es gibt mehrere steile Berg- und Gefällestrecken von bis zu fast 100 Prozent, extreme Schrägfahrten (35 %), eine Wasserdurchfahrt, eine Rundholzbrücke sowie Schotter-, Geröll- und Sandpassagen mit extremen Verschränkungen. Oder mit anderen Worten: viel Spass mit dem Ineos Grenadier. Einfach die vornehme BMWAutomatikschaltung auf «N» stellen und das ordinäre Untersetzungsgetriebe manuell auf «Low» schalten. Schon kann es losgehen. Ganz getreu dem Offroadgrundsatz: «So langsam wie möglich, so schnell wie nötig» navigiert Speedy den Grenadier über die Hindernisse. «Dank der drei Sperren, der beiden Starrachsen und dem Leiterrahmen, der starke Verwindungen im Gelände aushält, ist der Grenadier einer der letzten Offroader seiner Art. Ich bin ein grosser Fan der mechanischen Offroadtechnologie», zieht Stadelmann sein Fazit. Der Ineos Grenadier verspricht nicht zu viel. Er meistert souverän jedes Hindernis im Offroadpark, als wäre es ein Sonntagsspaziergang. Obwohl mechanische Offroadtechnologie zum Einsatz kommt, kann der Grenadier auch von Offroadeinsteigern im Gelände bewegt werden – natürlich erst nach einem Training auf dem Offroadgelände in Hinwil unter Einweisung eines Profis wie Peter Stadelmann vom TCS Training & Freizeitzentrum Betzholz.
Fazit
Mit dem Grenadier fängt der Spass dort an, wo die Strasse aufhört. Alles im Geländewagen ruft nach Abenteuer – egal wohin, der Grenadier bringt dich dorthin.